E-MTBs setzen den gigantischen Erfolg des E-Bikes fort und das durch zwei unterschiedliche Konsumententypen: Zum einen kaufen Radsportler, die im Gelände unterwegs sind, echte Mountainbiker eben. Sie haben durch den Motor bergauf mehr Spaß, da Passagen gefahren werden können, an denen sie vorher schieben mussten und sie können bergauf nun auch technische Herausforderungen bewältigen, anstatt nur stumpf gegen die Steigung zu treten. Nebenbei erlaubt es der Antrieb, drei Mal am Tag einen Berg hinauf zu fahren, den sie vorher nur einmal bewältigt haben. Drei Mal hoch heißt auch drei Mal Spaß bergab. Insbesondere Gravity-orientierte Fahrer freuen sich darüber, nicht mehr auf ein Shuttle oder eine Bergbahn angewiesen sein zu müssen.
Zum anderen gibt es aber auch eine große Anzahl von Käufern, die sich vom Image des Rentnerrades, wie es vom unumstrittenen Erfolgmodell und Vorreiter Flyer C-Serie geprägt wurde, soweit wie möglich distanzieren wollen. Man sieht diese Käufer überwiegend mit dem E-MTB auf Straßen und Radwegen fahren und auch nachts, ganz so wie sie es mit einem City-/Trekking-E-Bike ebenfalls tun könnten.
Höhere Beanspruchung durch „e“?
Für die E-MTBs, die als SUVs der Fahrradwelt innerstädtisch und für einfache Ausflüge im maximal leichten Gelände wie auf Wald- und Feldwegen genutzt werden, kann man eigentlich fast schon Entwarnung geben. Das MTB hat sich in seiner 30 jährigen Geschichte in allen technischen Belangen so stark entwickelt, dass die durch den Motor zu erwartenden höheren Kilometerleistungen in Anbetracht des technischen Stands der allermeisten Modelle weggesteckt werden.
Das Problem ist aber, dass kein Entwickler oder Produktmanager wissen kann, an wen das Fahrrad verkauft und was mit dem Fahrrad tatsächlich gemacht wird. Es kann eben auch sein, dass ein Hardtail von einem ambitionierten Marathon-Sportler als Trainingsgerät genutzt und daher hart herangenommen wird. Deshalb müssen die Veränderungen in den Beanspruchungen auf die Bauteile des E-MTBs durch den Elektroantrieb im Detail beleuchtet werden.
Anhand der Beobachtungen am Markt und ersten Messungen von Realendaten, d.h. der Belastungen im Fahrbetrieb mit E-MTBs, können einige grundsätzliche Veränderungen gegenüber dem klassischen MTB als gesichert gelten:
- Radsportler treten nicht mehr so stark, sie lassen vermehrt den Motor arbeiten.
- Der Anteil des Wiegetritts geht stark zurück, die Fahrer fahren deutlich mehr im Sitzen.
- Immer mehr schwere Fahrer nutzen das E-MTB und die E-MTBs wiegen als solches schon ungefähr 6 bis 12 kg mehr.
- E-MTBs werden vermehrt für die Anhängernutzung, z.B. zum Transport von Kindern, eingesetzt.
- Sportlich genutzte E-MTBs durchleben deutlich mehr Tiefenmeter, d.h. der Anteil des Fahrens im Stehen über raues Terrain, von Sprungbelastungen etc., steigt deutlich an.
- Ungeübte Fahrer neigen bergab dazu, andauernd zu bremsen und strapazieren so die Bremsanlagen sehr stark.
- Ungeübte Fahrer belasten gelegentlich E-MTBs selbst im einfacheren Gelände mehr als Sportler auf rauer Piste, da sie Geländeunebenheiten nicht so gekonnt ausgleichen wie langjährige und trainierte Radsportler.
Im Ergebnis gibt es für einige Bauteile klar höhere Belastungen und damit ein erhöhtes Ausfallpotenzial, aber nicht unter allen Bedingungen. Wie meistens sind derart differierende Anforderungen nicht alle zugleich vollständig zu erfüllen. Es müssen gerade bei einem auch mit Muskelkraft bewegten Sportgerät bzw. Leichtbaufahrzeug Kompromisse eingegangen werden. Als Entwickler und als Testinstitut ist man in der aktuellen Marktsituation gut beraten, wenn man den erhöhten Anforderungen vollständig Rechnung trägt. Das führt zwar entweder zu einem erhöhten Entwicklungsaufwand oder aber zu schwereren E-MTBs als für viele Nutzer nötig.
Drei Beispiele sollen die Thematik aufzeigen: Gut investiert ist Mehrgewicht z.B. in Bremsscheiben. Keinesfalls sollten minimalistische Leichtbau-Bremsscheiben verbaut werden – weder aus dem Zubehörmarkt, noch vom Hersteller selbst. Bremsbeläge und damit Bremsscheiben verschleißen deutlich schneller bei E-MTBs. Unzufriedene Kunden wegen häufiger Werkstattbesuche sind ein vermeidbares Übel, die deutlich bessere Wärmestandfestigkeit kann jedoch gerade ungeübte oder schwerere Fahrer vor Unfällen schützen. Mehr Masse zögert schlicht das Fading hinaus, ein echtes Sicherheitsplus.
Richtig gut investiert ist das Geld aus dem Entwicklungstopf in über die Norm hinausgehende Tests von Sattelstützen, der Gabel und des Rahmens (Normbegriff vertikale Lasten). An dieser Stelle zu sparen, wird sich rächen.
Marktgerecht sind E-MTBs im Portfolio, denen Anhängereignung bescheinigt werden kann. Das Mehrgewicht wirkt insbesondere beim Bremsen schädigend. Mit Anhänger wurden in der Vergangenheit die höchsten Belastungen auf die Vorderradgabel gemessen. Eine Erlaubnis Anhänger zu nutzen, erfordert daher angepasste Rahmen-, Gabel und Lenkertests vor Serienfreigabe.
Behördliches Verkaufsverbot für E-MTBs
Die erhöhten Anforderungen technisch in haltbare Konstruktionen umzusetzen, ist das eine und lösbar. Was die Branche aber richtig aufrütteln sollte, ist, dass Marktaufsichtsbehörden bereits bei einigen Herstellern ein Verkaufsverbot ausgesprochen und auch Strafen verhängt haben. E-MTBs benötigen laut europäischer Gesetzgebung eine vollständige Beleuchtungsanlage und eine Glocke, da zu erwarten ist, dass E-MTBs auch im öffentlichen Straßenverkehr gefahren werden. Dies ist gelebte Praxis und so auch tagtäglich zu beobachten. Die nunmehr als Reaktion von sensibilisierten Herstellern mitgelieferten Beleuchtungssets meist billigster Machart sind allerdings keine sinnvolle Lösung. In dem Fall kann man vom Auto lernen, denn dort spielt das Lichtdesign eine elementare Rolle bei der Gestaltung eines neuen Fahrzeugs. Welch eine Chance für schlaue Hersteller, Beleuchtungsanlagen in das Gesamtkonzept eines E-MTBs zu integrieren – Strom ist ja schon an Bord. So könnten die ersten wirklichen SUVs der Radbrache, z.B. auch mit ausgewiesener Eignung für Kinderanhänger, in die Fachgeschäfte gebracht werden. Diese neue Kategorie E-MTBs hätte eine geringere Geländeeignung, was in der Konstruktion entsprechend berücksichtigt werden könnte. Das wäre für viele Kunden nutzungsgerecht.
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Foto: Zedler