Quo Vadis unabhängiger Fahrrad-Fachhändler?

Lieferverzögerungen, Ersatzteilmangel, Stau in den Werkstätten, Fachkräftemangel – Die Herausforderungen im Fahrrad-Fachhandel sind gerade nicht ohne. Was also tun, um dennoch mittel- und langfristig erfolgreich wirtschaften zu können?

In Zeiten, in denen einige Hersteller E-Bikes ohne Akku ausliefern, in denen gängige Ersatzteile, wie Schläuche, Reifen, Bremsscheiben oder Schläuche gerne mal ein paar Monate auf sich warten lassen, liegen bei vielen Händlern die Nerven blank. Hinzu kommt, dass nach der Vororder bei fast allen Herstellern keine Möglichkeit mehr besteht, Fahrräder nachzuordern. Dadurch müssen die Vororder-Volumina

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© Zedler-Institut

angehoben werden, wohlgemerkt ohne zu wissen, wann die Ware kommt und ob diese dann noch zeitnah abfließen wird. Zu guter Letzt ist der Aufwand der Bearbeitung von Leasinganträgen oft eine zeitraubende Wissenschaft für sich. Neben all diesen Alltagssorgen wird es daher bei einigen Händlern hinsichtlich der Liquidität sehr eng.

So wie sich die Lage aktuell darstellt, ist mit einer Beruhigung der Fahrradmärkte in den branchenrelevanten Märkten kaum vor Mitte 2024 zu rechnen. Daher ist weitermachen wie bisher, für viele, vermutlich die meisten Fahrrad-Fachhändler im Grunde keine zukunftsträchtige Option.

Nicht wenige Branchenkenner sehen die Fahrradwirtschaft am Beginn eines Umbruchs, dessen gesamtes Ausmaß sich nur erahnen lässt. Nach dem Umsatzaufschwung durch E-Bikes, nach den höheren Umsätzen durch die Pandemie, kommt sehr wahrscheinlich eine Bereinigung des Marktes, sprich es werden in absehbarer Zeit viele Händler Ihre Ladengeschäfte zuschließen müssen.

Daher ist es trotz der hohen Arbeitsbelastung allerhöchste Zeit, grundsätzliche, schlecht laufende Themen mit Nachdruck anzupacken.

Den Werkstattstau auflösen

Positiv könnte man sehen, dass die Werkstätten gut ausgelastet sind. Denkt man aber einen Schritt weiter, ist das potenziell eher geschäftsschädigend. Die Kunden müssen Wartezeiten von mehreren Wochen akzeptieren. Statt Spaß mit dem Fahrrad zu haben, steht dieses nur herum. Das sorgt für Verdruss und es steigt die Gefahr, den Kunden zu verlieren. Fahrräder anderer Händler oder Vertriebswege werden grundsätzlich abgelehnt. Ruckzuck gilt man in der Gemeinde oder der Stadt als arrogant und die Chance, einen Kunden durch gute Arbeit zu gewinnen, wird vertan.

Generell werden Wartezeiten immer weniger toleriert, man kennt es ja von sich selbst. Und wenn wir noch einmal ehrlich zu uns selbst sind, dann sind viele Radschmerzen der Kunden in wenigen Minuten zu lösen, dann rollt das Rad wieder.

Daher ist es einen Versuch wert, die Möglichkeit von Schnell-Reparaturen anzubieten. Ähnlich wie es manche erfolgreichen Verbrauchermärkte anbieten, Kunden mit wenigen Artikeln an einer speziellen Kasse abfertigen und in Analogie zu der Drei-Minuten-Regel, die Manager gerne beherzigen. Diese am eigenen Leib erfolgreich angewandte Methode besagt, dass eine neue Aufgabe, sofort erledigt werden soll, wenn diese nicht länger als eben jene drei Minuten dauert. Legt man dieselbe Aufgabe auf den Stapel, werden typischerweise durch wiederholtes in die Hand nehmen und darüber nachdenken schnell 10 oder gar 15 Minuten daraus.

Für uns bedeutet dies, dass ein platter Reifen ohne großes Aufhebens sofort einen neuen Schlauch bekommen muss. In der Zeit, die es oft braucht, mit dem Kunden zu diskutieren, dass und warum keine Zeit ist, ist das auch fast schon erledigt.

An der Kasse wird dem Kunden dann „en passant“ alles erklärt und dokumentiert, was sonst noch auffällig war und ein ausführlicher Inspektions- bzw. Reparaturtermin vereinbart.

Die Werkstatt effizienter gestalten

Alles was es für einen solchen Schnellreparaturbereich braucht, ist ein stets freier Montageständer, bei dem in Griffnähe das rudimentäre Werkzeug und eine Reifenbefüllpistole mit Druckluft angebracht sind. Überlegenswert ist auch ein Zentrierständer mit Messuhren, um schnell unrunden Lauf herauszentrieren zu können. Außerdem lagern dort die gängigsten Verschleißteile, wie Reifen, Schläuche und Bremsbeläge.

Auch das kann man von der Supermarktkasse lernen, denn genau dort hängen die Mitnahmeartikel, die sogenannten Schnelldreher.

Dieser Bereich kann in Abhängigkeit der Räumlichkeiten auch die attraktive Anlaufstelle werden, an dem die größeren Inspektionen angenommen werden. Dort wird beim zuvor per Mail oder Telefon vereinbarten Anlieferungstermin das Fahrrad mit dem Kunden besprochen und durchgecheckt, um für intern das Arbeitsvolumen zu planen und dem Kunden schon eine Indikation mitzugeben, welche Kosten er für die gesamte Instandsetzung zu erwarten hat.

Die Preise anheben

Nicht wenige Fahrradhändler arbeiten noch mit Stundensätzen deutlich unter 60 Euro brutto. Damit kann keine Werkstatt mit dem ganzen Bestand an Werkzeugen, mit dem Auslesecomputer für E-Bikes, mit den elektrischen oder pneumatischen Montageständern, mit der ganzen benötigten Fläche kostendeckend betrieben werden.

Trotz unserer Branchenkompetenz in Carbon, trotz unserem Vorsprung in der Elektromobilität fehlt es vielen von uns an Selbstbewusstsein und die meisten verkaufen sich sehr deutlich unter Wert.

Im KFZ-Bereich sind in Deutschland in Marken- bzw. Vertragswerkstätten 120 Euro brutto völlig normal. Im Porschezentrum darf es auch gerne doppelt so viel sein – und dort wird überwiegend „nur“ an Stahl und Alu geschraubt.

Was spricht also dagegen, zumindest im urbanen Raum dreistellig pro Stunde abzurechnen?

Noch unsicher? Der Durchschnittspreis der Fahrradverkäufe hat sich, über den gesamten Markt gesehen, in den vergangenen 10 Jahren rund verdreifacht. Mehr Technik, mehr Funktion und im Ergebnis mehr Fahrfreude sind hierfür die Gründe. Die Werkstatt-Verrechnungssätze sind dagegen deutlich weniger, d.h. um grob geschätzt durchschnittlich 50 %, gestiegen. Das passt nicht zusammen.

Höhere Erträge in der Werkstatt bringen im Ergebnis auch die Möglichkeit, höhere Gehälter zu zahlen. Fachkräfte können dann neben der coolen Branche durch attraktive Entlohnung gelockt werden.

Schnell – Qualitativ gut – Preisgünstig…wähle zwei davon!

Der im Kern überall hin übertragbare Spruch ist bei der derzeitigen Situation in unserer Branche weit weg von der Realität. In der Wahrnehmung vieler Kunden erfüllen viele Fachhändler vor Ort derzeit nicht einmal einen der drei Punkte.

Frust im Service kann verhindern, dass nach dem gigantischen Verkaufserfolg der vergangenen drei Verkaufssaisons der dringend notwendige Mobilitätswandel einsetzt. Ein Fahrrad, das nicht rollt, bringt den Nutzer schlicht nicht zur Arbeit oder in den Biergarten. Folgekäufe in der Zukunft werden so unwahrscheinlich.

Daher ist der Wandel der Werkstattkultur zwingend für das Überleben der Fachhändler vor Ort, denn Verkaufen können die Internetanbieter besser und die Kunden murksen künftig noch mehr anhand von Youtube-Videos an ihren Fahrrädern herum.

 

Lesen Sie den Artikel in der publizierten englischen Version.

Politik trifft Fahrradbranche

V.l.n.r. August Schuler, Ulrich Prediger, Friederike Pischnick, Nadyne Saint-Cast, Dr. Markus Decker, Silke Gericke, Elke Zimmer, Burkhard Stork, Dirk Zedler, Alexander Rosenthal, Dr. Gudrun Zülke, Hermino Katzenstein, Sarah Holczer, Gregor Arndt

Der „Parlamentskreis Fahrrad“ des Baden-Württembergischen Landtages traf sich im Beisein der parlamentarischen Staatssekretärin im Verkehrsministerium, Frau Elke Zimmer MdL, und Herrn Ministerialrat Dr. Markus Decker aus dem Wirtschaftsministerium mit Stakeholdern der Fahrradbranche im Seminar- und Museumsbereich der Zedler-Gruppe. In der dritten Sitzung inspirierten die ausgestellten gut 100 historischen und neuzeitlichen Fahrräder alle

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Teilnehmenden aus Politik und Fahrradbranche zum Thema „Das Fahrrad als Wirtschaftsfaktor“.

Nach Grußworten vom Initiator des erst Anfang des Jahres gegründeten und zugleich ersten Arbeitskreises „Fahrrad“ auf Landesebene, Hermino Katzenstein MdL, beschrieb Gründer und Geschäftsführer Dirk Zedler, dass die Fahrradwirtschaft weit mehr ist als der offensichtliche Verkauf und die Reparatur im Handel. ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork erläuterte in einer Keynote, wie es um das Fahrrad als Wirtschaftsmotor in Baden-Württemberg steht und welches weitere Potenzial daraus geschöpft werden kann. Lebhaft und gänzlich offen diskutiert wurden unter anderem Themen wie das Wachstum der Branche in den vergangenen Jahren und seine Auswirkungen, die Anpassung der Fahrradinfrastruktur an die Gegebenheiten, die schwierige konjunkturelle Lage und die Transformation der Mobilität.

Elke Zimmer MdL (Staatssekretärin im Verkehrsministerium, Grüne) im Gespräch mit Alexander Rosenthal (politischer Sprecher, Zukunft Fahrrad e.V.)

Die Erwartungen und Forderungen an die Politik:

  • Mehr Investitionen in Aus- und Weiterbildung, z.B. dezentrale Schulen für Zweiradmechatroniker in Baden-Württemberg und die Einrichtung einer Professur für Fahrradingenieurswesen.
  • Umschulungsmöglichkeiten für Automotive-Mitarbeitende, einer riesigen Branche gerade in der Region Stuttgart, die vor einer gewaltigen Transformation steht.
  • Ausbau der Fahrradinfrastruktur für die vielen potenziellen Pendler, die in den vergangenen Jahren hochwertige Fahrräder und Pedelecs erworben oder geleast haben und mit besserer Infrastruktur gerne vom Auto aufs Fahrrad umsteigen wollen.
  • Abschaffung der 2-Meter Regel in den Wäldern, mit der Baden-Württemberg eine unnötige Ausnahmenregelung aufrechterhält.
  • Radwegefreigabe für S-Pedelecs, zumindest außerorts.

Auf Einladung der Politik waren folgende Vertreter der Fahrradbranche und der Verbände ins Zedler-Institut gekommen: Dr. Gudrun Zülke (Vorsitzende ADFC e.V. Landesverband Baden-Württemberg), Alexander Rosenthal (politischer Sprecher, Zukunft Fahrrad e.V.), Burkhard Stork (Geschäftsführer ZIV e.V.), Ulrich Prediger (Vorstand Zukunft Fahrrad e.V., Gründer Jobrad), Friederike Pischnick (Senior Expert Sustainable Mobility Bosch eBikes), Sarah Holczer (CSR-Managerin Shimano/Paul Lange & Co. OHG), Gregor Arndt (COO, Supernova Design GmbH).

Hermino Katzenstein MdL (Grüne) im Gespräch mit Dr. Gudrun Zülke (Vorsitzende ADFC e.V. Landesverband Baden-Württemberg)

Aufgenommen wurden die Argumente von: Elke Zimmer MdL (Staatssekretärin im Verkehrsministerium, Grüne), Dr. Markus Decker (Ministerialrat, Wirtschaftsministerium), Hermino Katzenstein MdL und Vorsitzender des Parlamentskreises (Grüne), Silke Gericke MdL (Grüne), Nadyne Saint-Cast MdL (Grüne), August Schuler MdL, stellv. Vorsitzender Parlamentskreis (CDU), Werner Korn, PB Verkehr (Grüne) und Marco Stilla (Persönlicher Referent H. Katzenstein).

Aus den angesetzten zweieinhalb Stunden Diskussion wurden kurzweilige dreieinhalb. Dank Fingerfood und Getränken hielten alle Teilnehmenden den als produktiv und inspirierend empfundenen Abend im Museum bestens und mit guter Laune durch.

 

Fotos: © Zedler-Institut