Dirk Zedler über aus Carbon gefertigte Gabelschäfte
Leichte und sehr leichte Rennräder, Zeitfahrmaschinen, Cyclocrossräder und Gravelbikes haben aus Carbon gefertigte Gabelschäfte. Seit 20 Jahren sind solche Gabeln als einzelnes Bauteil zugleich die Nummer eins auf der Liste aller Rückrufe der Fahrrad-Wirtschaft. Hersteller, Händler und Nutzer sind gleichermaßen gefordert, damit diese Fahrräder im Betrieb sicher sind.
Das Who is Who der Fahrradbranche steht
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im sportlichen Wettbewerb um die beste Ergonomie; die besten Fahreigenschaften und natürlich das geringste Gewicht. Mit seinen faszinierend guten Eigenschaften ist daher Carbon verständlicherweise der Werkstoff Nr. 1 für Leichtbau. Die anfänglichen Versuche bei Rahmen und Gabeln Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre waren oft nicht zufriedenstellend und folgerichtig war Aluminium einige Jahre lang wieder das Leichtbau-Material der Wahl. Beginnend mit dem Scott CR 1 im Jahre 2003, dem ersten Großserienrahmen mit einem Gewicht von weniger als 1.000 Gramm, rollt die Carbonwelle.
Die Fortschritte mit dem Material Carbon im Fahrradbau sind gewaltig. Heute braucht im Grunde kein Nutzer eines Rahmens eines seriösen Herstellers mehr Angst vor dem „sudden death“, dem gefürchteten vollständigen und urplötzlichen Vollversagen, haben. Auch Felgen für Scheibenbrems-Laufräder, Kurbeln, Lenker und Sattelstützen sind überwiegend sehr solide geworden. Nur Gabelschäfte bereiten weiterhin Probleme.
Besonders gemein an der Sache ist, dass drohendes Gabelschaftversagen von außen nicht erkennbar ist, da es im Inneren, d.h. unter Vorbau, Spacern und Lenkungslager, entstehen kann. Aus den vielen Rückrufen, die wir diesbezüglich begleitet haben, wissen wir, dass die Fahrer das aufkommende Versagen nicht bemerken. Die zunehmende Nachgiebigkeit wird so lange nicht detektiert, bis der Fahrer den Lenker samt Vorbau in der Hand hat. Genauso, wie dies schon mehrfach von Fotografen bei Rennsportveranstaltungen spektakulär eingefangen wurde. Was dann kommt ist klar: ohne Verbindung des Lenkers zur Gabel ist ein Sturz die zwingende Folge.
Verstecktes Übel mit vielen möglichen Ursachen
Die Gründe dafür, dass der Hochleistungswerkstoff im Bereich des Gabelschaftes nur sehr schwer in den Griff zu bekommen ist, sind vielfältig. Einflussfaktoren sind:
1. Die Qualität des Gabelschaftes
2. Die Qualität des Expanders, auch Kompressor genannt
3. Die Qualität des Vorbaus
4. Die Einbausituation
5. Die Qualität der Montage und Wartung
Im Ergebnis kann der Hersteller die schwierige Aufgabe nur bedingt in den Griff bekommen. Klar, wenn alle Bauteile serienmäßig belassen werden, dann kann er die Punkte eins bis vier optimieren und es verbleibt nur noch die Montage und die Wartung. Aber hier fängt es ja schon an, denn nicht wenige schrauben an Fahrrädern, ohne geeignetes Werkzeug (z.B. einen guten Drehmomentschlüssel) und die sinnvollen Hilfsstoffe, in diesem Fall spezifische Montagepaste für Carbon, die die Reibung zwischen den Bauteilen verstärkt.
Nächster Punkt der Veränderungen gegenüber dem Ursprungszustand ist die Einbausituation. Fahrräder werden üblicherweise mit etwa 30 bis 45 Millimetern Spacer unter dem Vorbau ausgeliefert. Fahrer, die sportlicher sitzen wollen, bauen den Vorbau nach unten und stapeln oberhalb des Vorbaus die übrig gebliebenen Spacer. Und schon beginnt die Misere, denn der Vorbau klemmt nicht mehr auf Höhe des Expanders, der Gabelschaft kann durch den Druck an weicher Stelle mit der Zeit versagen. Daher ist es ein absolutes Muss, solche Gabelschäfte nach der Probefahrt fachmännisch auf die richtige Länge kürzen zu lassen. Das bedeutet, dass maximal ein 5-mm Spacer oberhalb des Vorbaus verbleiben sollte.
Einfach einen anderen Vorbau zu wählen, kann ebenfalls zum Versagen führen. Manche Vorbauten sind innen scharfkantig und weisen eine (zu) kleine Klemmfläche auf, was die Lebensdauer des Gebelschaftes ebenfalls reduzieren kann. Wer einen Vorbau wählt, ohne diesen auf Tauglichkeit im Zusammenspiel mit Carbon zu prüfen, integriert möglicherweise eine Sollbruchstelle.
Mangel in der Norm
Eine Möglichkeit, warum es recht häufig zu Rückrufen kommt, kann auch daran liegen, dass sich manche Hersteller strikt an die Fahrradnorm halten. Denn darin war bis vor Kurzem keine Prüfung dieses Bereichs vorgesehen, obwohl der Autor dieses Artikels bereits im Februar 2000 zum ersten Mal über die Gefahren und Ursachen von Brüchen von Carbon-Gabelschäften veröffentlicht hat. Auch gibt es Veröffentlichungen über sinnvolle Testmethoden und in unserem Labor stehen seit Jahren 9 Prüfsysteme, die darauf spezialisiert sind, Gabelschäfte aus Carbon im originalen Setup, d.h. mit den spezifischen Lenkungslagern, anpassbarer Steuerrohrlänge, mit Spacern in beliebiger Anzahl bis hin zum Vorbau, d.h. sehr realitätsnah zu prüfen.
Die nunmehr aktualisierte Norm ist allerdings wieder sehr schwach, denn anstatt die Lastspielzahlen und die Kräfte zu übernehmen, die ein Vorbau und ein Lenker in der gleichen Norm seit vielen Jahren aushalten müssen, wurden diese auf einen Bruchteil reduziert. Für alle Einsatzzwecke sichere Carbon-Gabelschäfte wird es auf diese Weise nicht geben können.
Hersteller sollten sich tunlichst aufmachen, Carbon-Gabelschäfte im System mit den restlichen Anbauteilen seriös zu prüfen. Zudem müssen sie Händler und Nutzer so informieren, dass diese wissen, was bei eventuell notwendigen Ergonomie-Umbauten und bei der Wartung zu beachten ist.
Nutzer sollten keinesfalls unbedarft an dem Hightech-Material Carbon herumschrauben. Ohne nötige Fachkenntnis und Spezialwerkzeug bringen sie sich sonst selbst in Gefahr.