Medienberichte und Publikationen rund um Fahrräder, Pedelecs, Technik und Sicherheit

Die häufigsten Sicherheitsrisiken, die uns in der täglichen Arbeit rund um Fahrrad-Sicherheit, -Technik und -Bedienungsanleitungen auffallen, publizieren wir auch in Artikeln in den führenden Fachmagazinen TOUR – Europas Rennrad-Magazin Nr. 1, BIKE – Das Mountainbike Magazin Europas Nr. 1 und E-Bike – Das Pedelec-Magazin, um diese für die Branche wichtigen Informationen einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Auch die Eurobike Show Daily, Messezeitschrift der jährlich stattfindenden Eurobike Show, gibt uns seit vielen Jahren die Möglichkeit, unsere Sicht auf wichtige Entwicklungen in der Fahrradbranche in ganzseitigen Artikeln auszuführen.

Darüber hinaus sprechen wir regelmäßig in unabhängigen Fachvorträgen über alle Bereiche der Fahrradtechnik und des Fahrradmarktes. Auch weitere Fach- bzw. Branchenzeitschriften sowie immer häufiger Radio und Fernsehen zitieren uns in ihren Medienberichten und zeigen uns, dass wir mit unseren Hinweisen genau richtig liegen. In der Rubrik AKTUELL erfahren Sie laufend alle Neuigkeiten aus unseren Fachbereichen. Diese Berichte und Publikationen sortieren wir für Sie chronologisch bzw. nach Interessensgebieten.

BIKE BILD 01/2022
Lesedauer 5:55 Minuten

Material am Limit

In den letzten Monaten lenkten viele Fahrrad-Hersteller durch Rückrufaktionen die Aufmerksamkeit der Radfahrenden auf sich. Darunter auch eine Vielzahl bekannter Marken der Branche. Die Ursachen hierfür sind vielfältig.

Einige Meter vor dem Zielsprint des Straßenrennens Le Samyn im März 2021 muss der niederländische Radprofi Mathieu van der Poel enttäuscht abreißen lassen. Auf den Fernsehbildern erkennt man den gebrochenen Lenker seines Canyon-Aeroad-Rennrads. Dieser Vorfall Anfang des Jahres führte konsequenterweise zum Rückruf der Aeroad-Modelle mit dieser Lenkereinheit.
 
Auch andere renommierte Fahrradhersteller machten in den letzten Monaten durch Rückrufe auf sich aufmerksam, was uns zu der Frage führt, ob es ein Qualitätsproblem in der Fahrradbranche gibt.
 
Auf der Seite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) werden offizielle Rück-rufe für Fahrräder in Deutschland veröffentlicht, die ein Risiko für die Sicherheit und die Gesundheit der Benutzer aufweisen. Von Anfang 2020 bis heute (Redaktionsschluss: 10.02.2022) kam es zu immerhin 18 Rückrufen. Zum Vergleich: In den Jahren 2018 und 2019 hat die BAuA insgesamt 14 Fahrradrückrufe verzeichnet.
 

Härtere Belastung durch Fahrer

Die Fahrradhersteller Stevens, Specialized und Riese & Müller haben alle im Oktober 2021 innerhalb einer Woche eine Rückrufaktion für Fahrräder veranlasst. „Allesamt renommierte Hersteller mit guten Entwicklungsabteilungen und auch hohem Testanteil, die schon lange am Markt agieren und jahrzehntelange Erfahrung haben“, sagt Volker Dohrmann, Leitung Strategie, Produkt und Marketing bei Stevens. Bei Stevens’ E-Inception-Serie war das fehlerhafte Zusammenspiel zweier Komponenten von Drittherstellern Ursache des Rückrufs. „Stevens hat getestet und die Schwachstellen aufgedeckt – was natürlich in der arbeitsteiligen Industrie auch seitens der Zulieferer zu verantworten wäre. Aber wir nehmen dort zu kurze Entwicklungszeiten und zu wenige beziehungsweise zu schwache Realtests der Produkte an“, räumt Volker Dohrmann ein.
Auch bei dem Rückruf des Specialized Tarmac SL7-Rennrads wurde auf den hohen Anspruch an das Material hingewiesen. „In diesem Fall haben wir bei einigen Bikes leichte Gebrauchsspuren am Steuerrohr ausfindig gemacht, die durch starke Erschütterungen, zum Beispiel vermehrtes Fahren durch Schlaglöcher, entstehen“, sagt Christian Köhr, Category Lead Road & Gravel bei Specialized. Die stärkere Belastung durch die Nutzer könnte somit auch eine Ursache des Materialversagens sein.
 
Neben den Rückrufen von Stevens und Specialized musste Riese & Müller sein Lastenrad Packster 70 zurückrufen. Da E-Lastenräder von vielen Menschen als Autoersatz und Transportmittel für Einkäufe und Kinder benutzt werden, haben sie als Alltagshelfer an Relevanz gewonnen. Dieser Nutzung ist man sich bei Riese & Müller bewusst. „Gerade bei einer Beladung mit Kindern müssen wir mit mehr Sorgfalt, was Rückrufe betrifft, arbeiten“, sagt Jörg Matheis, Head of Communication bei Riese & Müller. Der E-Lastenrad-Hersteller gehe, so Matheis, gern auf Nummer sicher. Und die erhöhte Nachfrage machten Rückrufe im Vergleich zu früheren Zeiten eben auch deutlich sichtbarer. Damals, so Matheis, seien es noch deutlich weniger Käufer gewesen, die man direkt anrufen konnte. Rückrufe seien also quasi unter dem Radar der Öffentlichkeit mitgeteilt worden.
 

Testverfahren wird angepasst

Bei Canyons Aeroad-Rennrad wurde der Rückruf proaktiv nach dem Lenkerbruch bei Mathieu Van der Poel veranlasst – eine Extremsituation für das Rad, wie Marketing-Manager Julian Öncü sagt. „Das Testverfahren wurde daraufhin an die starke Belastung durch den kraftvollen Fahrer und das raue Kopfsteinpflaster angepasst.“ Bei Canyon sieht man die Tests als ein fortlaufendes Verfahren, da manche Anforderungen derzeit noch nicht maschinell abgebildet werden können.
 
Auch Stevens hat das Testverfahren entsprechend dem veränderten Nutzungsverhalten und der höheren Belastungen der Räder ausgebaut. „Sowohl die Markenhersteller als auch unabhängige Labore testen mehr, praxisgerechter und auch anspruchsvoller“, sagt Volker Dohrmann. „Durch diese zunehmende Akribie fallen mehr Defizite an den Rädern auf.“
 

Experten sehen mehrere Ursachen

Unabhängige Prüflabore, beispielsweise die Dekra und Velotech.de, testen ebenfalls Fahrräder, um zusätzlich Sicherheitsrisiken zu minimieren. Versäumnisse bezüglich Testverfahren in den Produktionen sieht auch Produktexperte Ralf Blum von der Dekra als eine Ursache für Rückrufe. „Bei manchen Marken führen die Zukaufteile zum Problem, weil die Hersteller aufgrund des Entwicklungsdrucks nicht vorher prüfen und sich auf andere Produzenten und auch Vorlieferanten verlassen.“
 
Für Ernst Brust vom Prüflabor Velotech.de stellen gerade die zugelieferten Motoren bei E-Bikes eine Gefahr dar. „Der Fehler wird erst später bemerkt. Das kann bei einem Softwarefehler, wie im Fall des Faltrads von Brompton Electric, unheimlich gefährlich werden.“ Auch zu kurze Innovations-zyklen spricht der Velotech.de-Gründer an. „Bei manchen Modellen wird dann die Farbe geändert, aber die Komponenten werden nicht noch mal geprüft.“ Für lückenhafte Testungen wie diese sind die Hersteller verantwortlich, zusätzlich fehlt es den Testverfahren an Fortschrittlichkeit. Bereits unter simulierten Bedingungen mit einem realitätsnahen Salzgehalt in der Luft stoßen viele Test-verfahren an ihre Grenzen, wie uns Ernst Brust mitteilte. Was man bei Canyon als fortlaufendes Verfahren beschrieben hat, sieht auch der Gutachter als solches an.
 
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für Ralf Blum ein veränderter Anspruch der Radfahrer. „Bei der Dekra haben wir inzwischen mehr Auseinandersetzungen mit Käufern wegen der Leistung des Fahrrads. Die Erwartungen steigen.“ Die Erwartungen der Käufer heute lassen manche Hersteller, die, so Blum, ihren Ruf schützen wollen, sozusagen bis in die Vergangenheit agieren. So hat E-Bike-Hersteller Sparta 2020 seine Modelle Sparta RX und Sparta RXS mit dem Herstellungsdatum zwischen November 2012 und Juni 2014 zurückgerufen. Frei nach dem Motto: Lieber heute etwas Al-tes zurückrufen, als für alte Unachtsamkeiten bestraft zu werden.
 
Der Gutachter macht indes deutlich, dass es im Hinblick auf die jetzige Menge an Radfahrern wenig Rückrufe gebe. Die Zahl der durch Defekte verunfallten Fahrräder sei nicht gestiegen, sagt Blum. Ihm sei zwar aufgefallen, dass die technische Komplexität vor allem der Rennradmodelle stetig zunehme,  ein daraus resultierendes Qualitätsproblem könne er jedoch ausschließen.
 
Darin stimmt der Sachverständige und Gründer der Zedler-Gruppe, Dirk Zedler, mit Ralf Blum überein. „Immer mehr Hersteller stellen sich ihrer Verantwortung umfassend und kümmern sich auch nach dem Verkauf noch um die Produkte.“ Die Rückrufe des Canyon Aeroads und der Stevens-E-Inception-Modelle seien freiwillig geschehen, könnten somit als Serviceverfahren angesehen wer-den.
 
Tatsächlich wachse der Qualitätsanspruch der Hersteller stetig. „Zulässige Gesamtgewichte werden genannt, Kategorien für den bestimmungsgemäßen Gebrauch definiert, dazu kreisen die Gedan-ken der Entwickler verstärkt um Anhänger, beispielsweise für Kinder“, sagt Zedler. Zusätzlich habe sich das Nutzungsverhalten insbesondere der E-Bike-Fahrer innerhalb der letzten Jahre stark verändert. Die Fahrradbranche befinde sich seit ungefähr zehn Jahren im Umbruch vom Hobby- und Sportbereich hin zur Alltagsmobilität.  Es kämen zudem seit Jahren neue Nutzerschichten zum Fahrrad, meint Zedler, es werde mehr gefahren, Umwelteinflüsse spielten eine größere Rolle, und Berge seien keine Hemmnisse mehr. „Und so hart die Wahrheit ist, die Fahrer werden zunehmend schwerer und nehmen mehr Gepäck mit – der Motor macht es möglich.“ An die härtere Beanspruchung in Kombination mit technisch und fahrtechnisch weniger versierten Fahrern müsse die Technik erst adaptiert werden, sagt Zedler.
 

Kein Grund zur Sorge

In Anbetracht der steigenden Absatzmenge an Fahrrädern bleibt die Anzahl der Rückrufe überschaubar. Fehlerhafte Testverfahren, auch aufgrund veränderten Nutzungsverhaltens, gestehen sich die Hersteller ein und versuchen, die Verfahren zeitnah anzupassen. Diese Entwicklung sollte für Fahrradkäufer und -fahrer darum kein Anlass zur Sorge sein, im Gegenteil: Die Rückrufe deuten darauf hin, dass sich die Branche weiter professionalisiert und ihre Qualitätsstandards erhöht.
 
Autorin: Franziska Schwenk

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