Die Tour wird für Familien schnell zur Tortur, wenn Kinder die Lust am Radeln verlieren, weil der Weg zu weit, die Strecke zu steil oder die Pausen zu kurz waren. Wenn die Erwachsenen ohne eine Schweißperle auf der Stirn von ihren E-Bikes steigen, während die Kinder mit ihren unmotorisierten Gefährten hinterherhinken, kann der Wochenendausflug schnell zur Zerreißprobe werden. Der Eindruck, dass E-Bikes vor allem bei Senioren beliebt sind, ist falsch. Auch immer mehr Jüngere radeln lieber mit Elektromotor. Werden nun auch Kinderräder elektrifiziert?
Rein rechtlich gesehen dürfen Kinder E-Bikes fahren, egal wie alt sie sind. Eine Beschränkung sieht das Straßenverkehrsgesetz nicht vor, weil E-Bikes und normale Räder gleichgestellt sind. Anders als beim E-Rollern, bei dem ein Mindestalter von 14 Jahren gilt, wenn man im Straßenverkehr unterwegs ist, gibt es beim Zweirad keine Altersgrenze. Zumindest was Pedelecs betrifft. Das sind Elektroräder, die den Fahrer unterstützen und maximal 25 km/h schnell werden. Dennoch wird häufig auch für solche Räder der Begriff E-Bike gebraucht.
Fahrradsachverständiger Dirk Zedler sagt: “Ich bin kein großer Fan davon, kleine Kinder auf ein E-Bike zu setzen.“ Bergauf sei der Elektroantrieb zwar eine super Sache, aber bergab könne es gefährlich werden, weil das Gewicht der Räder die Handhabung für Kinder schwieriger mache. „Die Marktentwicklung ist einfach so, dass alles elektrifiziert wird, was Räder hat“, sagt Zedler. Zum E-Bike-Gegner will er sich nicht stilisieren lassen. „Im Gegenteil. Aber man muss nicht jede Strecke mit dem E-Bike zurücklegen.“ Vor allem Situationen, in denen Eltern mit schicken E-Mountainbikes unterwegs seien und das Kind auf einem klapprigen Rad hinterherhechle, kann Zedler nicht verstehen. „Das ist einfach daneben.“ Das Kind auch zu motorisieren, ist für den Experten jedoch auch keine Lösung. „Wer mit Kindern unterwegs ist, sollte ein normales Fahrrad fahren.“ E-Räder sind aus Sicht des Experten, wenn überhaupt, nur für Jugendliche ab 14 empfehlenswert. Doch werden solche Räder überhaupt nachgefragt?
Beim Zweirad-Industrie-Verband, der regelmäßig Marktdaten über die Branche veröffentlicht, hat man zu Kinder-E-Bikes noch keine verlässlichen Zahlen. Tim Salatzki, Leiter der Abteilung für Technik und Normung, sagt: „Wir schätzen, dass das Angebot an elektrisch unterstützen Fahrrädern im Jugendbereich zunehmen wird – wenn auch auf niedrigem Niveau.“ Bei elektrifizierten Kinderfahrrädern sehe man eher weniger Anzeichen, dass sich diese in der breiten Öffentlichkeit durchsetzen werden.
Das sieht auch der Fahrradsachverständige Dirk Zedler so. „Einen großen Trend wird es bei Kinderfahrädern wohl nicht geben“, sagt Zedler. Dafür seien die Räder schlicht zu teuer. Beim Discounter sind sie zwar schon zu haben, kosten dort aber noch etwa 1000 Euro. Für ein elektrisches Markenrad können bis zu 2500 Euro fällig werden. Für ein Kinderrad weder wirtschaftlich noch nachhaltig, findet Zedler. Die Akkus gingen vergleichsweise schnell kaputt, sodass ein Rad nicht an kleinere Geschwister weitergereicht werden könne. Beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) hat man auch eine klare Haltung zu Kinder-E-Bikes. „Für Jugendliche sind Pedelecs in Ordnung. Auch wenn wir uns natürlich wünschen, dass möglichst viele Menschen ohne Motorunterstützung unterwegs sind, denn es ist gesund und macht fit im Kopf“, sagt Sprecherin Stephanie Krone. Das E-Rad überfordere Kinder, deren Motorik noch nicht genug ausgeprägt sei, um mit der schnelleren Beschleunigung umgehen zu können. „Beim Familienausflug sollten Eltern sich dem Leistungsvermögen ihrer Kinder anpassen, nicht umgekehrt.“ Für eine Gruppe sei ein E-Rad jedoch von Vorteil: „Eine sinnvolle Nutzung von Pedelecs sehen wir für Kinder, die wegen einer Krankheit oder Behinderung sonst gar nicht Rad fahren könnten“, sagt Krone.
Doch was tun, wenn die Eltern nicht auf ihre E-Bikes verzichten wollen oder gar kein normales Rad mehr besitzen, ihre Kinder aber nicht mit E-Rädern ausstatten wollen? Die Zweiradbranche hat Abschleppseile entwickelt, mit denen man sein Kind schlicht hinter sich herziehen kann. Mann kann sie am elterlichen Sattel und am Lenker des Kinderrads anbringen. Radsachverständiger Zedler sieht solche Seile jedoch kritisch. „Ich finde, das ist eine heikle Sache. Jeder, der mal ein Auto abgeschleppt hat, weiß, wie schnell es scheppert, wenn der Hintermann kurz nicht aufgepasst hat.“ Diese Gefahr sieht Zedler auch bei Radabschleppseilen. Für kurze Abschnitte bergauf könne ein solches Seil Hilfestellung geben, doch es gebe bessere Systeme, um Kindern den Spaß am Radfahren nicht zu verleiden. Etwa mit Rädern, die man, ähnlich wie ein anbaubares Tandem, am elterlichen Rad befestigen kann. Zedler nennt noch einen weiteren, dem Kinder-E-Bike eher gegenläufigen Trend: Ultraleichträder. Diese seien leichter zu manövrieren und die Kinder kämen so besser voran. Ganz ohne E-Antrieb.
Autorin: Christina Brummer
Foto: Imago Images