BIKE: Sind alle Fahrradprodukte auf AliExpress und Temu schlecht oder gar gefährlich?
DIRK ZEDLER: Schwer zu sagen. Man kauft die Katze im Sack. Fast alle Firmen produzieren in Asien, und es gab durchaus Überproduktionen. Es wird berichtet, dass fertige Produkte an den Straßenrand gestellt wurden, weil die Lager voll waren. So kann es passieren, dass man auf den üblichen Websites einen teuren Carbonrahmen zum Bruchteil des üblichen Preises bekommt, jedoch ohne bekanntes Label. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass man ein minderwertiges Plagiat kauft, das gefährlich sein kann. Oftmals wird Glasfaser verwendet, was die Steifigkeit und die Haltbarkeit negativ beeinflusst. Das Risiko ist hoch.
Wie kann ich herausfinden, ob es sich um eine Überproduktion oder ein Plagiat handelt?
Ein Foto auf der Website reicht nicht, Tests sind notwendig. Wir haben solche Tests durchgeführt und festgestellt, dass solche Carbonteile durchaus bei geringer Belastung platzen. Ich erinnere mich auch an Fälle, bei denen Sattelstützen nach nur 300 Kilometern wegknickten.
Doch die Asiaten wissen doch, wie Rahmen gebaut werden. Ist es wirklich so gefährlich?
Das Spektrum reicht von unbedenklich bis lebensgefährlich. Stimmt, die Asiaten wissen, wie man Rahmen und Anbauteile baut. Jedoch überwachen Bike-Firmen dies penibel durch sogenannte Third-Party-Tests. Wenn diese Überwachung fehlt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass an Materialien gespart wird.
Wie ist es bei Alurahmen oder Teilen?
Die Konsequenzen bei einem Alurahmen-Versagen sind meist weniger dramatisch. Ein minderwertig verarbeiteter Alurahmen kann auch an der Schweißnaht brechen, aber ein Bruch endet selten mit einem katastrophalen Sturz wie bei Carbonrahmen. Kurzum: Einen Alurahmen von den erwähnten Websites zu fahren, könnte ich mir eher vorstellen, aber machen würde ich es trotzdem nicht.
Wie sieht es mit Aluanbauteilen aus?
Die Ersparnis ist bei Rahmen wohl am verlockendsten. Aluanbauteile wie Kurbeln, Pedale oder Vorbauten von Temu und Co. bringen nicht so viel Preisvorteil. Man spart meist nur wenige Euro im Vergleich zum Original, was es nicht wert ist. Wer schon ein Video von einem Lenkerbruch gesehen hat, wird mir zustimmen.
Du rätst also grundsätzlich von diesen Produkten ab?
Ja, denn ein weiterer Aspekt ist die Haftung. Wenn du dich aufgrund eines Bauteil-Versagens schwer verletzt, kannst du niemanden haftbar machen. Selbst bei Pedalen kann ein Materialversagen zu heftigen Unfällen führen, wie wir aus unserer Gutachtenabteilung wissen. Seit es E-Mountainbikes gibt, sind Hersteller verpflichtet, Pedale mitzuliefern. Hier wollen einige Firmen sparen und kaufen sie als sogenannte Open-Mold-Produkte ein, das sind Nicht exklusive Formen, die Bike-Labels in Asien vertreiben. Der Versuch diese hier nur zu labeln und zertifizieren zu lassen, klappt aufgrund von Mängeln oft nicht. Da rutscht bei geringer Belastung schon mal ein Pedalkäfig von der Achse.
Warum versagt der Verbraucherschutz hier?
Der Verbraucherschutz versagt nicht. Es gibt seit Dezember 2024 ein neues europaweit gültiges Verbraucherschutzgesetz (GPSR), das der Produktflut von Plattformen wie Temu und AliExpress entgegenwirken soll. Diese Produkte müssen nun EU-Prüfanforderungen erfüllen. Das betrifft nicht nur Radrahmen und andere Bike-Bauteile, sondern auch viele andere Produktkategorien. Zum Beispiel Spielzeug. Es muss sichergestellt und dokumentiert werden, dass der Teddybär, den man auf Temu bestellt, nicht voller Schadstoffe steckt.
Das Problem löst sich also bald von selbst?
Ja, das ist der Plan. Doch bis die Regelungen greifen, kann es ein bis zwei Jahre dauern. Die Plattformen sind in der Pflicht, aber es wird erst Präzedenzfälle geben bei denen die EU hart durchgreift. Zudem geht es darum, Müll zu reduzieren.
Es gibt mittlerweile vereinzelnd asiatische Labels, die hochwertig produzieren und Produkte hier zertifizieren lassen und für einen günstigen Kurs anbieten. Könnte das ein Trend werden?
Möglich, viele bekannte Firmen, wie Canyon, haben so begonnen. Brandbuilding kostet viel Geld, Bike-Firmen investieren massiv in Marketing. Das beginnt beim Worldcup-Team mit Mechanikern und Managern bis hin zu Marketingteams und Produktpräsentationen.
Was kostet ein hochwertig produzierter Carbon-Rahmen?
Das darf ich nicht sagen, doch klar ist da viel Marge. Du musst aber auch bedenken, dass die Bike-Firmen damit Konstruktion, Entwicklung, Eigenständigkeit, Qualitätskontrolle, Vertriebswege und eben Service und Marketing finanzieren müssen und das nicht mit Asien-Löhnen.
Sichern sich westliche Labels exklusive Rechte für den Verkauf ihrer Rahmen in den USA oder Europa?
Es gibt verschiedene Modelle. Open-Mold-Rahmen kann jeder nutzen und sein Logo anbringen. Dann gibt es Modelle, bei denen westliche Hersteller mit asiatischen Herstellern zusammenarbeiten und exklusive Rechte für einen Kontinent für ein bis zwei Jahre erhalten. Und dann gibt es Closed-Mold-Modelle, die wir von bekannten Marken kennen wie eben Canyon, oder auch Nischenanbieter wie YT. Sie dürfen nicht von anderen verkauft werden.
Viele Bike-Firmen produzieren bei denselben asiatischen Herstellern. Dürfen diese Asia-Hersteller auch Noname-Produkte produzieren und hier verkaufen?
Ja, aber viele dieser Produkte bleiben in Asien. Die Nachfrage dort wächst enorm, insbesondere in China, dem derzeit größten Rennradmarkt. Natürlich werden dort auch bekannte US- oder Europamarken verkauft, aber auch viele eigene.
Das Interview führte Laurin Lehner