Die weltweit akzeptierte ISO 4210 für Fahrräder ist implizit auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 100 kg abgestellt, die EN 15194 für E-Bikes auf 120 kg. Im Ergebnis heißt dies, dass bei einem ausschließlich nach EN geprüften E-Bike knapp 50% der Männer der D-A-CH Region oberhalb der Grenze liegen und das E-Bike nicht ausreichend geprüft ist. Geht man von der zu erwarteten Mitnahme von Gepäck aus, wird die Zahl noch deutlich größer.
Beim klassischen Fahrrad ist das Verhältnis sogar noch gravierender. Einem ca. 8 bis 10 kg geringeren Fahrradgewicht, steht ein 20 kg geringeres Gewichtslimit für ein „geprüft sicheres“ Fahrrad gegenüber. Im Ergebnis sind Hersteller sehr schlecht beraten, nur nach Norm zu prüfen, denn sie ist für eine große Zahl der Nutzer schlicht nicht ausreichend.
ISO und EN - Weltweiter Sicherheitsstandard?
Wie kann es dazu kommen, dass Normen derartig am Markt vorbei gestaltet wurden? Die Antwort ist vielschichtig. Normen zu gestalten sind langwierige Prozesse, so dass das Durchschnittsgewicht schneller anstieg als die Norm angepasst wurde. Nun ist es eigentlich zu spät, denn in Asien, wo die Normen ebenfalls akzeptiert und angewandt werden, wiegt der durchschnittliche Mann keine 70 kg. Dort sieht die Rechnung dann anders aus, eine Anpassung scheint nicht erforderlich.
Grundsätzlich ist die Norm als Mindestanforderung zu verstehen. Sie ist ein guter erster Leitfaden für das Prüfen von Bauteilen und auch ganzen Fahrrädern, aber weder ausreichend, noch vollständig. So fehlen z.B. die Belastung des Rahmens durch eine Scheibenbremse oder aber eine sinnvolle Betriebsfestigkeitsprüfung für Laufräder. Mittlerweile gibt es hinreichend Gerichtsurteile, die belegen, dass die Sicherheit durch die Erfüllung der Normen nicht ausreichend sein kann. Zu Prüfen ist nach dem Stand von Wissenschaft und Technik.
Nutzerverhalten im Wandel
Beobachtet man Radfahrer, wird schnell erkennbar, dass die Herausforderungen durch die starken Elektromotoren immer größer werden. Neben immer schwereren Fahrern, die sich aufs Fahrrad setzen, verleiten die Motoren dazu, ständig Gepäck mitzunehmen. Und das Mamataxi mit dem Pedelec samt Kinderanhänger ist heute keine Seltenheit mehr, sondern ständig gelebte Praxis.
Die Erfahrungswerte über die Nutzung von Fahrrädern der Vergangenheit und insbesondere die statistischen Erkenntnisse über die Ausfallquoten von Bauteilen können nicht mehr in die Zukunft übertragen werden. Als Beleg dafür kann das Archiv des Autors dienen: Unter den vielen hundert Gutachten, die der Autor als Sachverständiger für Gerichte und Versicherer in den vergangenen Jahren in Fällen von Materialversagen mit schwerer Verletzungs- oder gar Todesfolge zu erstellen hatte, sind zwei Faktoren signifikant: Hohe Beladung des Fahrrades und intensive Nutzung. Beides wird bei E-Bikes gegenüber klassischen Fahrrädern nachweislich mehr.
Das eine Bike für alle gibt es nicht
Mit etwas Gepäck bringt es ein 140 kg schwerer Fahrer zusammen mit dem E-Bike auf 180 kg Gesamtgewicht. Ein seltener Fall? Rechnen wir noch einmal: Ein leicht überdurchschnittlich schwerer Fahrer mit 105 kg fährt ein Pedelec mit 25 kg, hat ein Aktentasche von 5 kg am Gepäckträger und zieht seine Kinder im in Summe 40 kg wiegenden Anhänger, macht 175 kg. Das zeigt, dass es eine Notwendigkeit gibt für normale E-Bikes, die ein zulässiges Gesamtgewicht von 180 kg aufweisen.
City- und Trekking-E-Bikes müssen nach vorhergesehener Anwendung kategorisiert werden, denn es macht ja wenig Sinn, ein auf 180 kg dimensioniertes E-Bike einer Frau mit 55 kg zu verkaufen. Sie wäre ständig mit zu viel Gewicht unterwegs und könnte das E-Bike kaum noch manövrieren. Eine gezielte Konstruktion bringt leichteren Fahrern tendenziell auch leichtere Bikes und schweren Fahrern schwerere. Dann stimmt auch das Verhältnis.
Basierend auf dem Erfahrungsschatz vieler hundert Gutachten und Auswertungen von Betriebsbelastungen hat das Zedler-Institut marktgerechte Prüfungen erarbeitet, die verschiedene Gewichtsklassen berücksichtigen. Prüfungen nach Advanced decken bis 130 kg Gesamtgewicht ab, Advanced Plus bis 150 kg und Advanced Plus XXL bis 180 kg.
Viele erfolgreiche Prüfungen und der bis dato unauffällige Einsatz bzw. die problemfreie Nutzung der von uns XXL geprüften Produkte im Feld bestätigen, dass Fahrräder bis 180 kg Gesamtgewicht machbar sind. Hersteller müssen die Kategorisierung der Modelle klar regeln und auch an die immer populärer werdende Anhängernutzung denken. Eine Aufgabe ist es dann noch, die Händler dafür zu sensibilisieren, dass E-Bike nicht gleich E-Bike ist. Sie müssen die Kunden schon im Verkaufsgespräch darüber informieren, dass sich das Gesamtgewicht aus Fahrer, Fahrrad, Gepäck und gegebenenfalls Anhänger zusammensetzt. Die Erfahrung zeigt, dass gerade schwere Kunden Probleme aufgrund des Gewichts aus anderen Bereichen des Lebens kennen und XXL-Bikes daher dankbar kaufen.
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Foto: Zedler