Fahrrad zu fahren, macht nicht nur richtig Spaß, sondern ist nachhaltig und mithin der beste Kompromiss, um sich auf kurzen und mittleren Strecken fortzubewegen. Gesund, emissionslos, leise, mit geringem Materialeinsatz und wenig Platzverbrauch sind positive Attribute. Zurecht ist deshalb das Fahrrad als Teil der Lösung vieler aktueller Themen wie überfüllte Städte mit Staus, Lärm, zu wenig Parkraum und auch für die Abkehr von fossilen Energieträgern zu sehen. Sich darauf auszuruhen, wie es die Branchenakteure mehrheitlich tun, ist dagegen völlig fehl am Platz.
Über den ökologischen und auch gesellschaftlichen Fußabdruck der globalen Produktion weiß kaum ein Hersteller Bescheid. Das zu durchleuchten ist ein hohes Ziel, an dem man sich abarbeiten kann und das zudem viele Fehlerquellen birgt. Aus genannten Gründen das Thema Nachhaltigkeit allerdings gar nicht anzupacken, halte ich ebenfalls für falsch.
Seit dem MTB-Boom Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre wurden Fahrräder von Radsportlern für Radsportler gebaut. In dieser Freizeitecke sind Modeerscheinungen und Funktionen zu Verkaufsargumenten geworden, die das Gros der Fahrer gar nicht erfahren kann bzw. die ihm keinen oder nur einen sehr geringen Nutzen brachten. Diese Verkaufsstrategien führten zu immer kürzer werdenden Halbwertszeiten von sogenannten Standards bei Reifen, Naben, Tretlagern und Gabeleinbaumaßen etc. Was in einer Saison hip war, war ein, zwei Jahre später schon kalter Kaffee. Das wäre nicht schlimm, wenn nicht mangelnde Ersatzteilversorgung und damit nicht gegebene Reparaturfähigkeit manchem Fahrrad ein frühes Ende bereitet hätte.
Aktuelle Technik ist nur „bedingt“ nachhaltig
Seit 10 Jahren erfreut sich die Branche nun schon an der Elektrorad-Welle, lässt aber weitgehend außer Acht, dass das „E“ am Fahrrad fast alles ändert. Historisch bedingt gewichtsoptimierte Bremsbeläge und -scheiben, die nach wenigen Bergabfahrten verschlissen sind, superschmale Ketten mit ebenso filigranen Ritzelpaketen, die nach weniger als tausend Kilometern Altmetall sind, Konstruktionen die den generell härteren Belastungen durch Mehrgewicht, höhere Kilometerleistung, Kindertransport nicht gewachsen sind und zerbrechen sowie weiterhin hektische Modellwechsel in Kombination mit schlechter Ersatzteilversorgung, lassen die dem Grunde nach gute Ökobilanz des E-Bike-Fahrens schnell kippen.
Der unbestrittene Verkaufsboom korreliert jedoch nicht einmal ansatzweise mit den neuen Erhebungen über die tatsächliche Nutzung der E-Bikes, Fahr- und Transporträder als Ersatz von Kraftfahrzeugen. Es wird den Veröffentlichungen nach schlicht mehr mit Kraftfahrzeugen gefahren denn je. Die Gründe für die Nichtnutzung sind vielfältig. Noch immer haben viel zu viele potenzielle Radfahrer Angst im Straßenverkehr, noch immer schwingt die latente Angst mit, dass Fahrrad könnte gestohlen werden. Auch das Argument, dass das Fahrrad unpraktischer sei im tagtäglichen Einsatz, muss ernst genommen werden.
Als Branche müssen wir uns über die reine Herstellung und den Vertrieb hinaus auch dringend für die Nutzung einsetzen. Denn nur wenn genügend angenehme Radwege, sichere Abstellmöglichkeiten im öffentlichen Raum sowie Duschen und Spinde beim Arbeitgeber bereitstehen, werden die vielen verkauften Fahrräder auch intensiv genutzt und nur dann werden all die Käufer auch in Zukunft Spaß am Radfahren haben und in absehbarer Zeit wieder eines kaufen.
Lobbyarbeit für gesicherten Verkauf in der Zukunft
Als Branche müssen wir diesbezüglich ehrlich zu uns sein, nach solchen Verkaufserfolgen wie aktuell kann auch eine jahrelange Flaute kommen. Es sei denn wir bereiten den Weg für weiteren Erfolg. Wie das geht, machen andere Branchen seit vielen Jahren eindrucksvoll vor - das Zauberwort heißt Lobbyarbeit. Auch hier sollte kein Branchenakteur Angst vor dem großen Wort haben, sondern pragmatisch herangehen.
Der einfachste Weg ist die Mitgliedschaft in einem Verband, der nicht nur die Technik und den aktuellen Verkauf bzw. die derzeitigen Beschaffungsthemen im Blick hat, sondern Mitarbeitende in Regierungsnähe mit konkreten Aufgabenstellungen beschäftigt. In Deutschland wäre das Berlin.
Während die Branchen Pharma und Kraftfahrzeug, um nur zwei von vielen zu nennen, jeweils mehr als 500 Lobbyisten in Deutschlands Hauptstadt beschäftigen, bringen es alle Fahrradverbände vor Ort zusammengerechnet nicht einmal auf 10 Vollzeitäquivalente.
Aber nicht nur dort, wo die große Politik gemacht wird, können Radhändler- und -hersteller mit ihren Verbänden etwas bewirken. Gerade vor Ort kann Engagement, z.B. im Gemeinderat oder in der IHK, Dinge auf den Weg bringen. Mit einer Vervielfachung des Umsatzvolumens in Euro in den vergangenen Jahren stellt die Fahrradwirtschaft einen zunehmenden Wirtschaftsfaktor dar, auch das sind Fakten, die Politik und Verwaltung nicht außer Acht lassen werden – sofern es dort bekannt gemacht wird. Von allein werden diese das nicht recherchieren, es liegt an der Fahrradbranche das dort publik zu machen und daraus resultierend unsere Forderungen nach Verkehrsraum und sicherem Parken einzufordern. Seien Sie auch ein „Best Practise“ in Sachen Mobilitätsmanagement in Ihrem Betrieb und machen Sie diese Vorbildrolle transparent in Ihrer Gemeinde oder Stadt.
Gerade in den vergangenen Jahren ist ein derartig dynamischer Wandel im Markt und damit in der Branche, dass die Kassen der Händler und Hersteller laut klingelten. Für den langfristigen Verkauf auf hohem Niveau wird es wohl keine zweite Corona-Chance geben. Als Branche müssen wir uns engagieren, damit Verkehrswege und die Nutzungsmöglichkeiten so vorteilhaft werden, dass das Fahrrad die gern genommene Alternative auf dem Weg zur Arbeit oder Einkauf wird.
Spätestens jetzt ist es zudem an der Zeit, die Transformation aus der Sport- und Hobbyecke hinein in eine echte nachhaltige Mobilität tatsächlich zu vollziehen. Sonst kann es sein, dass die wenig nachhaltige Herstellung und schnelle verschleißende Produkte Thema werden und unser Heiligenschein einen kaum mehr zu beseitigenden Kratzer bekommt.
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