Im Grunde passiert seit ein paar Jahren genau das, was wir uns alle gewünscht haben: Mehr und mehr Menschen steigen auf’s elektrische Fahrrad. Viele von ihnen fahren zudem noch viel mehr Kilometer als zuvor mit dem City- oder Trekkingrad. Gepäck oder Anhängelasten sind ebenso wenig ein Hindernis wie bergiges Gelände oder heftiger Gegenwind. Dank der Kraft des Motors und der Ausdauer moderner Akkus wagen sich zudem zunehmend Fahrer*Innen auf E-Bikes in bergiges Gelände, die vorsichtig gesagt, nicht die Figur eines Radprofis aufweisen.
Als Resultat entstehen oft unerklärliche Reifenpannen, Speichenbrüche mehren sich oder Felgen reißen im Bett der Länge nach ein.
Was sind die Gründe für die Phänomene, mit denen sich in der Ära rein mechanischer Fahrräder hauptsächlich Händler mit viel Rennrad-Kundschaft herumschlagen mussten – auch noch zu Zeiten der frühen Systemlaufräder?
Die Hauptverantwortung für Verbesserungen tragen die Hersteller, denn diese können beim Aufbau der Räder vieles richtig oder eben falsch machen. Läuft etwas schief, sind die Händler mit ihren Werkstätten gefragt, um für die Kundschaft Abhilfe zu schaffen.
Zu lasche Prüfungen
Moderne E-Bikes wiegen rund 10 Kilogramm mehr als vom Einsatzzweck vergleichbare City- und Trekkingräder. Aber nicht nur die Räder haben in den vergangenen gut 10 Jahren deutlich an Gewicht zugelegt. Der durchschnittliche Mann in der D-A-CH-Region wog 89 Kilogramm, die Durchschnittsfrau 73 – vor Corona. Hätten Sie`s gewusst? Umfragen nach haben die Menschen zudem während der Pandemie zwischen zwei und vier Kilogramm zugenommen.
Die in der EN optional enthaltene Prüfung auf dem Rollenprüfstand belastet die Räder und Reifen mit einer Radlast von 640 Newton. Viel? Auf keinen Fall! Bei einer üblichen Radlastverteilung von 70 % auf dem Hinterrad, ergibt sich bei einem 30 kg schweren Pedelec mit einem durchschnittlich schweren Fahrer mit 90 kg eine Radlast von 824 Newton, d.h. knapp 30% mehr. Geht man von einem 100 kg Fahrer aus, der noch 10 kg Gepäck mitnimmt wären knapp über 960 Newton adäquat. Und über die 750.000 Stöße mit der Leistenhöhe von 10 mm braucht man nicht zu diskutieren, denn diese sind bei einem typischen 48 mm breiten Reifen zu wenig fordernd.
Im Ergebnis ist die Prüfung laut Norm absolut unzureichend, um betriebsfeste Laufräder für typische Pedelec-Nutzung herauszuprüfen. Hier sind die Hersteller bzw. deren Prüfer gefordert.
Zu wenige und zu schwache Speichen
Lange Jahre waren 36 Speichen am Hinterrad der Standard. Dank stark verbesserter Speichenqualität wurde mit der Zeit auf 32 reduziert. Bei den schweren und antriebsstarken Pedelecs, in Kombination mit Scheibenbremsen, sollte das Rad der Zeit zurückgedreht werden. Doch die Rückkehr zur alten Speichenzahl reicht nicht. Die deutlich höheren Belastungen erfordern zudem, dass in die Trickkiste der Einspeicher von sportlich genutzten Rädern gegriffen wird. Konifizierte oder auch Doppeldickend genannte Speichen sind am Gewinde und am Bogen massiv, im Mittelteil dagegen ausgedünnt. Dadurch entsteht dort eine Elastizität, die beiden Schwachstellen werden geschont, was die Lebensdauer drastisch erhöht.
Brechen bei einem Kunden wiederholt einzelne Speichen, lohnt der Versuch, das Rad mit solchen Speichen komplett neu einzuspeichen.
Zu dünne Flansche
Brechen Speichen am Bogen lohnt der Kontrollblick auf die Flansche und den Freiraum zwischen Kopf und Bogen der Speichen. Besonders bei einigen Getriebenaben entsteht dort Freiraum, so dass die Bögen nicht sauber anliegen und in Folge schädliche Bewegung entsteht.
Bei häufigen Brüchen an den Speichenbögen schaffen Unterlegscheiben, die bei den Speichenherstellern erhältlich sind, unter jedem Speichenkopf für Abhilfe.
Zu geringe Speichenspannung
Durch hohe Radlasten werden die Speichen im Fahrbetrieb bei jeder Umdrehung im Bereich des Radaufstandspunkts stark entlastet. Dieses Wechselspiel in der Speichenspannung erträgt eine Speiche nur eine sinnvoll lange Zeit, wenn diese auch bei der stärksten Entlastung noch gespannt ist. Oder andersherum: sind die Speichen nur unzureichend vorgespannt, brechen diese aufgrund der entstehenden Spannungsspitzen/Schläge im Nulldurchgang mithin schon nach wenigen hundert Kilometern.
Abhilfe schafft eine Wartungsroutine, bei der nicht nur der Planlauf kurz geprüft wird, sondern bei dem die Speichenspannung sorgfältig kontrolliert und gegebenenfalls angehoben wird. Tipps zur richtigen Speichenspannung geben die Speichenhersteller, Prüfgeräte dazu gibt es dort ebenso.
Innere Reifen-Pannen
Klagen Kunden häufig über unerklärlich platte Reifen, lohnt der genaue Blick auf den defekten Schlauch. Zwei eng beieinander liegende Löcher sind das untrügliche Zeichen für einem durch Überfahren einer Kante bei geringem Reifendruck zerquetschten Schlauch, auch Durchschlag oder Snake Bite genannt. Hier gilt es, den Kunden auf korrekten Reifendruck und regelmäßige Kontrolle zu beraten.
Was aber, wenn die Luft durch eine Vielzahl winzig kleiner Löcher entweicht? In der Regel sind es hohe Radlasten, breite Reifen und leider allzu oft nicht angepasster Reifendruck, die viel Walkarbeit erzeugen. Die damit einhergehende starke Reibung zwischen Reifen und Schlauch bewirkt, dass der Schlauch mit der Zeit regelrecht aufarbeitet und damit porös wird.
Insbesondere bei Gummiprodukten reibungsminderndes Talkum lässt sich mittels Streuer geschickt in den Reifen einbringen. Verteilen Sie das Trockenschmiermittel gleichmäßig im gesamten Inneren, auch an den Flanken, bevor Sie einen neuen Schlauch montieren. Erfahrungsgemäß herrscht dann Ruhe.
Der Bau von über einen längeren Zeitraum haltbaren Rädern für hoch belastete Fahrräder ist eine Mischung aus Ingenieurskunst der Hersteller und solidem Handwerk im Service. Hersteller tun gut daran, die Räder seriös zu prüfen, sonst ist Ärger vorprogrammiert. Händler müssen gute Räder dennoch hinsichtlich korrekter Speichenspannung regelmäßig kontrollieren. Nur im Tandem von Hersteller und Fachhandel werden Kunden dauerhaft zufrieden sein und sich zu einem späteren Zeitpunkt im Idealfall wieder für ein E-Bike derselben Marke entscheiden.