"Warum darf man in der A-Klasse nicht rauchen? - Zu viele Kippen!" Was hat die Nation gelacht, als 1997 die neue A-Klasse von Mercedes-Benz beim inzwischen legendären Elchtest einer schwedischen Zeitschrift umkippte. Kurze Zeit später verursachte Audi zwar weniger Gelächter aber dennoch ein gewaltiges Medienecho, als der neue Prestigewagen TT dazu neigte, in bestimmten Situationen auszubrechen. Beide Hersteller riefen die Autos zurück in die Werkstätten und besserten umfangreich nach. Inzwischen sind Rückrufe in der Automobil-Branche so üblich, dass die ADAC-Motorwelt monatlich fast eine komplette Spalte damit füllen kann und die Mehrheit der Autobesitzer eher gelassen darauf reagiert.
Ganz anders in der Welt des Fahrrads. Hier sind Rückrufe bislang eher selten und werden in der Szene kontrovers diskutiert. Als der Versandhändler Canyon im Winter Rennräder vom Typ "F8", "F9" und "F10" wegen Problemen mit der Vorderradgabel zurückrief, schlug das im TOUR-Forum hohe Wellen: "Ich frage mich, wie die Leute ruhig schlafen können, wenn sie doch wissen, dass ihr Murks draußen unterwegs ist!", wurde der Hersteller kritisiert. Andere Meinungen wollten den Rückruf nicht als lobenswertes Verhalten von Canyon würdigen: "Was soll daran lobenswert sein? Sollen sie warten, bis 20 Gabeln gebrochen sind?" Wie man's macht, macht man's falsch, so scheint es.
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Den meisten betroffenen Anbietern dürfte schlicht das Geld fehlen, um einen Rückruf abzuwickeln: Die Kunden müssen informiert, die Ersatzprodukte gefertigt, zum Händler transportiert und dort ausgetauscht werden. Je nach Stückzahl und Aufwand, der dahinter steckt, werden da schnell einige Hunderttausend Euro fällig - und nur wenige Unternehmen sind dagegen versichert. Für viele dieser Firmen ohne Versicherung würde ein Rückruf den Ruin bedeuten. Hinzu kommt: Selbst wenn ein Rückruf abgewickelt wurde, muss das Unternehmen mühsam wieder das Vertrauen der Händler und Kunden zurückgewinnen. Viele solcher Firmen setzen deshalb auf das Prinzip Hoffnung und darauf, dass mit dem als fehlerhaft erkannten Produkt kein schlimmer Unfall passiert; oder sie spekulieren ganz ungeniert darauf, dass ein geschädigter Käufer ihres Produkts auf dem Rechtsweg in juristischen Fußangeln hängen bleibt. Vor allem bei ausländischen Produzenten ist das häufig der Fall.
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Mit solchem Verhalten riskieren die betroffenen Anbieter jedoch, noch mehr Glaubwürdigkeit zu verlieren als wenn sie ihr Problem eingestehen und publik machen. Vor Fehlern ist niemand gefeit - deshalb sind Firmen, die zurückrufen, entgegen der in der Fahrradszene häufig verbreiteten Ansicht nicht unfähig, haltbare Teile zu bauen, sondern zeigen Verantwortungsbewusstsein. Sie haben die Sicherheit und Gesundheit ihrer Kunden im Blick -also genau das, was jeden Euro rechtfertigen sollte, der in einen Rückruf fließt. Die A-Klasse von Mercedes-Benz und der Audi TT zählen jedenfalls trotz der Rückrufe zu den erfolgreichsten Modellen der beiden Hersteller.
Text: Dirk Zedler